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Prolog - Sonntag, 20. August 1995 und vorher

Auweia. Da denkt man an nichts Böses, marschiert einfach mal so in den Bonner Hauptbahnhof, um sich über die Fahrradmitnahme in Zügen, die Verbindungen nach Süddeutschland und die Preise zu informieren - nur um eben diesen Bahnhof nach etwa 20 Minuten deprimiert und desillusioniert wieder zu verlassen. Nicht nur, dass ich mit meiner Reservierung sowieso schon spät dran wäre (mal abgesehen davon, dass eine Zugreservierung so gar nicht zum spontanen und unabhängigen Verreisen passen will), sondern auch die Fahrpreise vertragen sich mit meinem Studentenbudget nun überhaupt nicht. Etwa 300,- DM Normaltarif scheint nicht viel für den im normalen Beruf stehenden Mittzwanziger, für mich allerdings ist es ein ziemlicher Batzen Geld.

Aber was den Individualtouristen auch auszeichnet, ist seine Fähigkeit, aus der Not eine Tugend zu machen. Schließlich gibt es doch das Wochenendticket. Also überlege ich mir mal, wie man mit dem Bummelzug von Bonn nach München kommt. Und dann wieder von Basel nach Bonn, denn das ist die Reiseroute, die ich mir zusammengestellt habe. Auf dem Rückweg kann ich dann auch noch einen Abstecher zu meinen Eltern machen, der mit dem Geburtstag meiner Mutter recht gut zusammenfallen würde. Da es - wir schreiben das Jahr 1995 - noch keine DB-Fahrplanauskunft im Internet gibt, ist der Weg zum Fahrplan etwas komplizierter. Frederik Ramm von der Uni Karlsruhe hat eine Art "Railserver" aufgesetzt; man gibt die gewünschten Daten ein, und einen bis zwei Tage später erhält man eine Email mit möglichen Verbindungen. Wer wissen will, wie das Ganze aussieht: Bitte schön!

Am Vortag der Abreise, also am 19. August, wird gepackt. Naja, nicht wirklich gepackt, aber auf mehreren Zetteln schreibe ich mir auf, was ich alles brauche. Dann krame ich das Zeug aus allen möglichen Schränken hervor und verteile es auf dem Boden meiner Studentenbude. Dann, und erst dann, treffe ich mich in der Bonner Innenstadt noch mit ein paar Kumpels auf ein paar Bier. Und zuguterletzt begebe ich mich gegen 11 Uhr abends sogar noch auf eine Fete. Zum Glück bin ich dermaßen müde, dass ich dort nicht alt werde, so dass ich um etwa ein Uhr nachts, voller Vorfreude im Bauch, aber auch mit einem Gefühl gespannter Erwartung, im Bett liege.

Als mich um sieben Uhr der Wecker aus dem Bett schmeisst, bin ich zwar noch etwas müde, aber trotzdem relativ schnell auf den Beinen. Ein Frühstück und Morgenkaffee muss sein, aber dann geht es darum, den Krempel in den Packtaschen zu verstauen. Ich bin wirklich froh über meine am Vortag angelegte Liste, denn so kann ich mich ganz darauf konzentrieren, alles effektiv und an sinnvolle Plätze zu verpacken und muss mir nicht groß überlegen, was ich eigentlich mitnehmen will. Zwar bleibt bis zuletzt die Angst, etwas vergessen zu haben,aber als ich gegen halb zehn das Haus verlasse, gibt es kein Zurück mehr. Die etwa zehnminütige Fahrt zum Bahnhof wird zur Testfahrt, und es erstaunt doch immer wieder, wie wackelig und schwer manövrierbar so ein vollbepacktes Fahrrad sein kann.

Praxistest Nummer zwei steht am Bahnhof an, als ich in der Unterführung versuche, mit meinem Transporter die Treppe zum Bahnsteig zu nehmen. Am sinnvollsten erweist sich folgende Variante: Die Tasche mit Zelt, Schlafsack und Isomatte wird - rucksackmäßig - auf den Rücken genommen, mit den Armen durch die beiden Tragegriffe. Die Hinterradtaschen werden über die linke Schulter gehängt, und der Rest, das heißt Lowridertaschen und Lenkertasche, bleibt am Fahrrad und wird mit diesem auf die rechte Schulter gewuchtet. Dennoch: Jede Treppe kann so zum Abenteuer werden, besonders wenn mir viele Leute entgegenkommen. Auf dem Bahnsteig ist aber erstmal wieder Entspannung angesagt, und während ich auf den Zug warte, kann so die erste Lage Schweiß schonmal trocknen.

"Fahrräder hierher!" ruft der Schaffner aus dem Gepäckwagen heraus, der - wie sollte es anders sein - natürlich am anderen Ende des Zuges hängt. Dennoch habe ich genug Zeit, mein Rad über den Bahnsteig zu rollen, und der Schaffner hilft mir auch noch, die bestimmt vierzig Kilo in den Wagen zu wuchten. Dieser Wagen entpuppt sich als waschechter Gepäckwagen. Ich verstaue Fahrrad und Gepäck möglichst sicher und mache es mir dann auf einem freien Stückchen des Fußbodens bequem.

Zwar sind die meisten anderen Radfahrer in dem Wagen (etwa zwei Dutzend) nur Tagesausflügler - einige davon in voller Rennmontur - dennoch komme ich schnell ins Gespräch. Wo ich hin will, wie lange, und was ich alles dabei habe wollen die Leute wissen - ich glaube, ein wenig falle ich sogar unter Radtouristen auf. Eigentlich entpuppt sich die Fahrt nach Koblenz als recht angenehm, trotz der fehlenden Sitzpolster.

In Koblenz habe ich zwanzig Minuten Aufenthalt, und danach wird's interessant: Der Zug nach Frankfurt ist nämlich so gnadenlos überfüllt, dass der Schaffner noch Leute aus dem Fahrradabteil jagen muss, damit Platz für die Räder ist. Und so bin ich froh, alles heil verstaut zu bekommen, selbst wenn ich hier einen Teil der Strecke stehen muss. Die Enge bringt es natürlich auch wieder mit sich, dass man relativ schnell Leute kennenlernt: Ein Paar mit Sohn begleitet mich dann noch weiter nach Würzburg, so dass wir auf dem Frankfurter Hauptbahnhof gegenseitig auf unsere Räder aufpassen können.

In Würzburg habe ich über eine Stunde Aufenthalt, in der man zwar auch nicht die Stadt besichtigen kann, aber ich verlasse trotzdem dem Bahnhof. Auf dem Vorplatz gerate ich auch tatsächlich in eine Radlergruppe der Behinderten-Sportgruppe Aschaffenburg, die sich allesamt als interessierte und nette Menschen erweisen und mit denen ich mich eine Zeitlang über ihre und meine Tour unterhalte. Ich bin aber trotzdem etwas baff, als mir einer von ihnen beim Abschied mit den Worten "Es ist bestimmt heiß in Italien" eine Schirmmütze mit dem Logo und Schriftzug der BSG Aschaffenburg in die Hand drückt.

Zurück auf dem Bahnsteig wartet schon der Zug, dennoch stehen mehrere Leute davor und keiner steigt ein. Der Grund hierfür offenbart sich auch recht schnell: Irgendein Witzbold hat beim Aussteigen die Heizung angemacht, so dass es im Wagen noch unerträglicher ist als in der Sonne und bei Temeraturen von über 30 Grad auf dem Bahnsteig. In Treuchtlingen muss ich danach noch ein letztes Mal umsteigen, bevor ich abends im acht in München einlaufe, wo ich mich mit Manni, einem alten Bekannten (bei dem ich auch übernachten will) verabredet habe. Der Treffpunkt ist schnell gefunden, und nach einen schnellen Abendessen geht's auf ein paar Bier in eine Münchner Kneipe. Wieder zurück bei Manni ist es auch schon halb zwei, und da Manni am nächsten Morgen arbeiten muss, hauen wir uns auch alsbald aufs Ohr.