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14.Tag - Sonntag, 3. September 1995

"Nichts wie weg" denke ich, als ich morgens auf dem asozialsten Campingplatz der ganzen Tour mein Frühstück beende. Ein Wohnwagengespann mit deutschem Kennzeichen verläßt gerade den Platz. Naja, Sonntag morgen. Heute abend wollen die Leute wieder zu Hause sein, um morgen früh wieder am Arbeitsplatz zu erscheinen. Wie fremdartig mir eine solche Zeiteinteilung doch schon innerhalb der zwei Wochen geworden ist. Als Radfahrer denkt man, wenn man von A nach B will, eben nicht in Tagen, sondern eher in Wochen. "Bis nächstes Jahr" sagt der Fahrer durch das Autofenster zur Platzwartin. Das paßt zu ihnen. Wie kann man hier nur freiwillig mehr Zeit als unbedingt nötig verbringen? Das einzig Positive an diesem Campingplatz ist, das ich um einen weiteren Aufkleber reicher geworden bin, der fortan meine Lenkertasche schmückt.

Uferstraße am Vierwaldstätter See
Am Morgen scheint noch die Sonne, während ich abenteuerliche Tunnel durchfahre, die mich an den Gardasee erinnern.

Als ich losfahre, scheint die Sonne. Lange bleibt mir das Glück jedoch nicht hold. Nach nur einer Stunde Fahrt fahre ich mal wieder auf der Felge. Ein Plattfuß. Dank des italienischen Engels aus Como bin ich nun etwas schneller im Reifenflicken. Interessanterweise war es kein Gegenstand auf der Fahrbahn, der das Loch verursacht hat. Der Schlauch war einfach auf der Innenseite ein Stück weit aufgerissen. Einfach geplatzt, sozusagen. Überlastung des Materials, durch das hohe Gewicht.

Die Technik ist aber erst der Anfang. Kurz danach zeigt auch noch das Wetter, was es alles für mich bereithält. Zwar kann ich noch bei zeitweiligem Sonnenschein und trocken die Fahrt am Nordufer des Sees genießen, die mir immer wieder herrliche Ausblicke auf das Steilufer bietet, aber schon bei der Einfahrt nach Luzern, als ich mich auf einem Stadtplan informiere, wie ich diese Stadt am besten durchquere, ist der Himmel düster. Und kaum bin ich in der Innenstadt, fängt es an zu regnen. Obwohl: Nicht wirklich Regen, sondern vielmehr ein Gewitterschauer ist es, der hier die Straßen förmlich unter Wasser setzt. Gerade noch rechtzeitig kann ich mich im Eingangsbereich einer Bäckerei unterstellen. Artaq muss leider draußen bleiben und wird dementsprechend nass. Die Passanten schauen mich alle etwas mitleidig an. Und ganz unrecht haben sie nicht: Es ist kalt und regnet in Strömen, und ich stehe in Shorts und T-Shirt irgendwo in der Schweiz, während vermutlich unzählige Familien gerade Kaffee und Kuchen verdrücken, dabei aus dem Fenster schauen und sich freuen, ein Dach über dem Kopf zu haben.

Als der Regen nach etwa einer halben Stunde nachläßt, fasse ich mir daher auch ein Herz, ziehe meinen Poncho über und fahre weiter. So ist das Ganze trotzdem kein Vergnügen. Ich sehe durch die Kapuze nur noch halb so viel, durch den Regen sehen mich auch die Autofahrer nicht besser, und dazu kommt, dass ich immer wieder Pfützen ausweichen muss, nur um dann festzustellen, dass die Autofahrer das nicht nötig haben und lieber genau mitten durch fahren, wenn ich neben ihnen bin.

So bin ich denn auch froh, als Luzern endlich hinter mir liegt. Am Ufer geht es weiter Richtung Süden, an den Blinklichtern vorbei, die hier eine Sturmwarnung für unvorsichtige Wassersportler darstellen. Der Regen wird mittlerweile immer schwächer, und hört irgendwann glücklicherweise wieder ganz auf. Im Westen kommt sogar jetzt nochmal die Sonne zwischen den Wolken durch. Ich ziehe den Poncho aus und schnalle ihn an mein Gepäck. So macht das Fahren wieder Spaß. Je weiter ich fahre, desto trockener wird die Straße auch wieder.

Düstere Aussichten am Sarner See
Bei der Ankunft am Sarner See versprechen die Wetteraussichten nichts Gutes.

Leider soll das Wetter nicht den ganzen Rest des Tages anhalten. Am Sarner See, den ich mir als Tagesziel ausgesucht habe, schaffe ich es gerade noch auf den Campingplatz namens "Lido". Auf diesem finden sich fast aussschließlich Wohnwagen und Blockhütten - welche zum großen Teil wohl nur im Sommer genutzt werden und bereits leerstehen - bis auf eine kleine Wiese für Zelte, welche sich jedoch direkt am Strand befindet und außerdem mir allein gehört. Noch während ich hier das Zelt aufbaue, fängt es auch schon wieder an zu regnen. Und nun wird mir der Nachteil meines Zeltes vor Augen geführt: Es hat kein Regenvordach, so dass an ein gefahrloses Kochen nicht zu denken ist. Es sei denn, man läßt sich was einfallen. Also stelle ich mein Fahrrad etwa einen halben Meter vor dem Eingang auf, und baue aus meinem Poncho ein Regendach. Da ich jetzt allerdings keinen Regenschutz mehr für mich habe, mit dem ich das Zelt verlassen könnte, wünsche ich mir, ich hätte meine berühmte Yps-Überlebensfolie mitgenommen. Das ist nichts weiter als eine grüne, doppellagige Folie, die man als Kind auch als Notzelt verwenden kann. Hier hätte sie gut die Aufgabe meines Ponchos übernehmen können.

Wie dem auch sei: Meine Laune lasse ich mir nicht vermiesen, und nach einer warmen Suppe fühle ich mich in meinem Zelt richtig geborgen. Ich lese noch ein wenig im Schein einer Taschenlampe, bevor mich die aufs Zelt plätschernden Regentropfen langsam in den Schlaf geleiten.