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Epilog - Samstag, 9. September & Sonntag, 10. September 1995

Endlich ist es halb zwei, und nach und nach setzen sich die Gestalten, die die letzten Stunden in der Bahnhofshalle ausgeharrt haben, in Bewegung. Ich gehe an Zollkontrollposten vorbei und durch einen langen Gang, bevor sich der Bahnsteig mit dem wartenden Zug vor mir auftut. War ich nach meiner Ankunft in München vor knapp drei Wochen schon ein richtiger Fahrrad-im-Zug-unterbring-Profi, so dauert es diesmal wieder seine Zeit, bis das Rad im Türbereich des Zuges nach Mannheim untergebracht ist und die Taschen um mich herum auf Sitzen und in der Gepäckablage. Mir gegenüber sitzt der Typ, der am Abend auf mein Fahrrad aufgepaßt hat, als ich mal aufs Klo mußte. Zum Glück ist es eine Nachtfahrt, so dass niemand von einem großartige Konversation erwartet und man auch ohne schlechtes Gewissen schlafen oder still aus der Wäsche schauen kann.

Es ist Freitag nacht, und auf der Strecke entpuppt sich dieser Zug als sprichwörtlicher Lumpensammler: Leute, die in irgendwelchen Städten an der Strecke die Kneipen und Discos unsicher gemacht haben, steigen hin und wieder ein, müssen sich dabei schon sehr zusammenreißen, um in ihrem alkoholisierten Zustand nicht über mein Fahrrad zu fallen, und steigen im nächsten Kaff wieder aus. Zwischendurch müssen wir auch eine Gruppe Penner ertragen, die auf dem Weg nach Norden ist. Da sie zwar ein Wochenendticket haben, das für fünf Personen gilt, sie aber nur vier Personen und ein Hund sind, werden sie von dem sehr unfreundlichen Schaffner mit "Ein Hund ist doch keine Person!" angeblökt und am nächsten Bahnhof wieder rausgeschmissen. Ehrlich gesagt, empfinde ich auch keine große Lust, dies zu verhindern, was aber nicht an meiner prinzipiellen Einstellung zu einer solchen Situation liegt, sondern an dem Gestank, mit dem sich der Waggon seit dem Einstieg der Penner gefüllt hatte. Irgendwie habe ich sogar das Gefühl, dass die meisten froh sind, diesen Gestank nicht mehr länger ertragen zu müssen.

Um den Rest der Geschichte kurz zu machen: Mit Umsteigen in Mannheim und Mainz komme ich um kurz vor neun morgens in Idar-Oberstein an, wo ich genau richtig bin zum Geburtstag meiner Mutter. Am nächsten Tag, dem Sonntag, geht es dann weiter Richtung Bonn. Dank eines verpaßten Anschlußzuges in Koblenz ist es kurz nach zehn Uhr abends, bevor der Zug in Bonn einrollt. Ich verbringe die letzten Minuten dieser Heimfahrt bei Artaq im Fahrradabteil, wo ich etwas wehmütig aus dem Fenster schaue, als die ersten bekannten Lichter von Bonn auftauchen. Ich war nur drei Wochen weg - wie würde ich mich wohl fühlen, wenn ich nach einem halben Jahr oder noch längerer Abwesenheit in dieser Situation wäre?

Eine Tour geht zu Ende. Eine Tour mit interessanten Begegnungen, durch schöne Landschaften und über hohe Pässe. Eine Tour mit Hitze und Kälte, mit Sonne und Regen, und mit psychischen Höhepunkten und Augenblicken der Niedergeschlagenheit. Eine Tour der Selbsterfahrung, die mir immer unvergesslich bleiben wird, und deren Erlebnisse ich nicht missen möchte. Auch wenn ich mich, nach drei Wochen Abwesenheit, während der letzten zehnminütigen Etappe durch Bonn auch wieder auf mein Zuhause freue.

Wohin wohl die nächste Tour gehen wird?