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5.Tag - Freitag, 25. August 1995

Diese Nacht habe ich nicht sehr gut geschlafen. Aber wen wundert's, bei der geradezu beängstigenden Stille, die die Nacht über zu vernehmen war. Es war in der Tat dermaßen still, dass ich beim leisesten Geräusch wach wurde. Aber nun ist es bald acht Uhr morgens und Zeit aufzustehen, denn hier hält mich nichts mehr. Das übliche Prozedere, wie jeden Morgen. Noch zwei Scheiben des widerlichen Brotes aus Brixen reinzwängen, und weg bin ich.

Ein Flußtal nördlich von Riva del Garda
Auf dem Weg nach Riva del Garda. Auch nach der berauschenden Abfahrt geht es in einem Flußtal leicht bergab bis zum Gardasee.

Die ersten paar Meter aus dem Tal raus schiebe ich, um mich nicht direkt wieder kaputtzumachen. Die Steigung zur Hauptstraße entpuppt sich heute als nicht annähernd so schlimm, wie ich sie mir gestern abend vorgestellt habe. Oben angekommen, grinse ich nochmal über das "Direkt am See!"-Hinweissschild, und fahre los. Es läuft ganz gut heute morgen; nach wenigen Kilometern überholt mich der Wohnmobil-Fahrer mit FFB-Kennzeichen und hupt nochmal zum Abschied. Ich grüße freundlich. Das Nahen meines ersten großen Zieles, des Gardasees, stimmt mich überhaupt recht fröhlich. Dazu kommt eine geradezu atemberaubende Abfahrt, die aber als Belohnung für die gestrigen Strapazen durchaus angemessen ist. Ich rase an zwei Reiseradlern vorbei, die auf einem Rastplatz in eine Karte vertieft sind, und mir fällt zu spät ein, dass ich klingeln könnte. Es geht immer weiter bergab, vorbei an dem kleinen Lago di Toblina. Ab Arco ist sogar der Straßenrand als Radweg gekennzeichnet. Bei der Einfahrt in Riva bin ich geradezu euphorisch. Ich fahre immer weiter geradeaus und bergab, und dann bin ich da. Vor mir breitet sich die Wasserfläche des Gardasees aus, der hier am nördlichen Ende recht schmal ist.

Ein erster Blick auf den Gardasee
Ankunft am Ufer des Gardasees, in der Nähe des Stadtzentrums von Riva.

Die Fahrt vom Campingplatz zum Gardasee hat gerade mal ein dreiviertel Stunden gedauert. Mit Hilfe meiner Unterlagen mache ich mich auf die Suche nach "Camping Bavaria". Dafür halte ich mich auf der Hauptstraße durch den Ort Richtung Osten. Supermärkte und Geschäfte gibt es hier zuhauf; ich werde also keine Probleme bei der Nahrungsmittelbeschaffung bekommen. Am Campingplatz werde ich gefragt, wie lange ich bleiben will; die Antwort "Zwei Nächte" scheint okay zu sein. Der Platz ist recht voll, und am späteren Nachmittag bekomme ich noch mit, wie eine weitere Einzelperson abgewiesen wird. Da habe ich ja scheinbar nochmal Glück gehabt.

Leider ist der Campingplatz nicht so toll wie erwartet. Er ist recht klein und eng, und die Stellplätze bestehen aus hartem Sandboden, nicht etwa aus Rasen. Auch das Publikum ist seltsam. Zwar jung (und daher nicht spießig), aber dafür auch vollkommen niveaulos. Das andere Extrem quasi. Viel bekifftes Jungvolk, viel Surfpublikum, viele Deutsche. Eine Gruppe etwa zwanzigjähriger Deutscher campt mir gegenüber. Ich grüße - auf eine Antwort warte ich vergeblich. Auch der erste Besuch der sanitären Anlagen läßt tief blicken. Auf dem Klo steht der folgende Spruch an der Wand: "Die Fotz, die hat zwei Lappen, und will den Penis schnappen, doch der will das nicht, und spritzt ihr ins Gesicht." Echt klasse. War ich in meiner Jugend etwa auch mal so?

Nach dem Aufbau und Einrichten meines Zeltes gehe ich erstmal einkaufen. Am Obststand des Supermarktes (der übrigens auch sonntags geöffnet ist - man will wohl die Touristen nicht vergraulen) erkenne ich die Grenzen meiner Italienisch-Kenntnisse an dem Satz "Vorrei mezzo chilo di ... äh ... Weintrauben", der mich doch wieder zu einem gewissen Maß an Zeichensprache zwingt. Auf dem Rückweg stehen noch ein neues T-Shirt (Harley-Davidson Aufdruck - genau das richtige für mich als wahren Biker...) sowie ein Korkenzieher auf dem Einkaufszettel - beide sollte ich im späteren Verlauf dieser Tour noch benutzen.

Nachmittags kommt die Sonne hervor. Der Kiesstrand, der direkt vor dem Campingplatz beginnt, ist relativ voll. Ich genieße die Sonnenstrahlen und den Spaziergang an der schönen Strandpromenade. Leider zieht es sich dann nochmal zu und beginnt erstmal zu regnen. Ich setze mich ins Zelt, lese ein wenig in meinem Reiseführer, und lasse auch das kleine Italienisch-Wörterbuch nicht unbeachtet. Es scheint mir, als sei die beste Möglichkeit, eine fremde Sprache zu lernen, in eben dem Land, wo diese gesprochen wird. Man wird ständig mit neuen Begriffen konfrontiert, und wenn man lernwillig ist und einen Anfang geschafft hat, kann man auch recht schnell gute Fortschritte erzielen. Auch denke ich ein wenig über meine bisherige Reise nach, sowie über die Dinge, die ich so in den letzten Wochen erlebt habe. Solange es regnet, sage ich mir, kann ich ja einfach mal die Beine im Zelt ausstrecken und schlicht und einfach nichts tun.

So um halb vier nachmittags hört der Regen auf. Ich gehe, mit Schwimmzeug bewaffnet, erneut an den Strand, der jetzt relativ leer ist. Die Italiener sind wohl doch nicht so hart wie erwartet. Das heißt, eigentlich nicht die Italiener, sondern eher die deutschen Touris. Nachdem ich meinen Krempel an den Strand gelegt habe, gehe ich ins Wasser und schwimme los. Ich schwimme ziemlich weit raus. Die Carabinieri, die einen Moment auf mich zuhalten, meinen jedoch nicht mich, sondern haben nur zufällig diesen Kurs. Dennoch bleibe ich nicht allzu lange im Wasser. Nach dem Schwimmen ist erstmal duschen angesagt, was - wie auf so manchen Campingplätzen - erneut eine interessante Erfahrung birgt. Die Duschen sind nämlich mal wieder der Hit: In jeder Duschkabine steht ein kleiner, zweigeschossiger Metalltisch, auf oder in dem man seine Sachen trocken unterbringen soll. Der Handtuchhalter ist vermutlich schon vor Jahren abgebrochen. Die Wasserregulierung besteht aus zwei Knöpfen: Einer zum Drehen, der die Kaltwasserzufuhr reguliert, und einer zum Drücken, der nach eben jener Art der Betätigung doch immerhin etwa zehn Sekunden heißes Wasser liefert. Nach Justierung dieser Konstruktion mit einer Schnur, die wohl von jemandem, der vor mir ähnlich ratlos versucht hat, mit angenehm temperiertem Wasser zu duschen, angebracht wurde, klappt das Zusammenspiel der beiden aber doch ganz gut. Nach Ende des Duschvorgangs merke ich, dass ich meine Turnhose im Zelt habe. Also wieder rein in die Badehose und die mitgeduschten und daher nassen Turnschuhe und ab ins Zelt. Es regnet jetzt mal wieder.

Am frühen Abend hört es dann doch nochmal auf zu regnen. Nach meinem Abendessen - bei dem ich mal wieder Aufsehen errege, weil mein Benzinkocher direkt nach dem Anmachen eher einem Flammenwerfer als einem Kocher gleicht - beschließe ich, ein wenig die Innenstadt zu erkunden und spazieren zu gehen. Ich gehe am Strand entlang - in der Hoffnung, dass mir das nahe Wasser helfen möge, den Rückweg wieder zu finden. Die Strandpromenade verdient hier ihren Namen eigentlich gar nicht, da sie nicht wirklich zum "promenieren" einlädt, sondern eher zu einem geruhsamen Spaziergang. Es handelt sich hierbei im Prinzip um eine in die Länge gezogene Grünanlage, eingezwängt zwischen der Hauptstraße des Städtchens im Norden, dem Gardasee im Süden und der Innenstadt im Westen. In diesen Westen zieht es mich auch, wobei ich am Ende dieser Grünanlage, bevor ich wieder in bevölkertere Straßenzüge gelange, eine Eisdiele entdecke, die mir in den nächsten eineinhalb Tagen die ein oder andere Pause bescheren wird: Die Italiener sind nach wie vor Weltmeister in der Herstellung von Speiseeis.

Die Innenstadt ist eigentlich gar nicht so übermäßig historisch; sie vermittelt viel eher den typisch mediterranen Charakter eines Hafenstädtchens. Im Mittelpunkt steht allerdings, von einem Wassergraben umgeben, die "Rocca", eine alte Festung. Und um diese Festung herum bietet sich ein sehr merkwürdiges Spektakel: Es sind Bühnen aufgebaut, und etliche Bewohner (oder Besucher) von Riva del Garda schauen zu, wie Jugendliche in kleinen Paddelbooten in diesem Wassergraben irgendwelche Seemannswettkämpfe durchführen, die entfernt an die in den Siebziger Jahren in Deutschland populäre Spielshow "Spiele ohne Grenzen" erinnert. Die Jungs müssen irgendwelche Holztonnen aus dem Wasser fischen, schwimmend Aufgaben erledigen und anschließend ihr Boot auch noch um die Rocca rudern. Hierbei treten scheinbar immer zwei Teams gegeneinander an, und die Mannschaft, die ihre Aufgaben schneller erfüllt, hat gewonnen - zumindest dieser Teil der Regeln ist dann auch mir einsichtig.

Nach diesem interessanten Erlebnis - dessen Bedeutung ich allerdings erst am nächsten Morgen begreifen sollte - begebe ich mich auf eine große Runde durch den Ort, die mich, während ich mir so das Treiben auf den Straßen anschaue, wieder zum Campingplatz zurückführt. Es ist immer noch recht warm, auch am Abend, und ich genieße es, in einem Ort zu sein, der ein gewisses mediterranes, aber auch touristisches Flair ausstrahlt. Und hier bin ich aus eigener Kraft hergeradelt, in noch nicht mal fünf Tagen aus dem eher kühlen Deutschland.