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8.Tag - Montag, 28. August 1995

Der erste Blick aus dem Zelt verspricht nichts Gutes. Gerade hat es aufgehört zu regnen, und dunkle Wolken verschleiern noch immer den Himmel. Egal, ich will weiter. So packe ich auch alsbald zusammen. Während das Zelt trocknen soll, statte ich noch dem gestern geschlossenen Supermarkt einen Besuch ab und decke mich mit neuen Lebensmitteln ein. Danach baue ich das natürlich immer noch nasse Zelt ab, packe auf und fahre los. Der gestrige Naschmittag gab mir Gelegenheit, in meiner Reiselektüre voranzukommen, dem Fantasy-Roman "Die Elfensteine der Shannara", in dem ein schwarzer Hengst namens Artaq die Helden der Geschichte davor bewahrt, von Dämonen in Stücke gerissen zu werden. Und letztlich meinem treuen Begleiter, einem blau-weißen Stahlrohrrahmen mit zwei Rädern dran, bei der Namensfindung zur Seite stand. Also lenke ich Artaq aus der Einfahrt des Campingplatzes zurück auf die Straße, die Richtung Westen leicht bergauf geht.

Kurz vor dem Paso di Ambolo, westlich des Gardasees
Nach der Abreise vom Ledrosee wirkt das Wetter nicht gerade sehr einladend.

Dunkle Wolken tauchen die Straße und das Tal in ein düsteres Licht. Glücklicherweise muss ich nur noch einen kurzen, leichten Schauer über mich ergehen lassen, der so schwach ist, dass er mich erfrischt. Kurz darauf erreiche ich auch schon die Paßhöhe: "Paso di Ambolo" steht auf dem Schild, 859 Meter. Da bin ich ja doch ganz gut aufwärts gefahren vom Gardasee. Und schon geht es wieder abwärts. Laut meiner Karte muss ich heute zwei in Nord-Süd-Richtung verlaufende Flußtäler überwinden - und natürlich den dazwischen liegenden Bergrücken. Auf der Abfahrt in das erste dieser Täler befinde ich mich gerade. Landschaftlich ist die Straße wieder sehr reizvoll, und irgendwann kommt auch wieder die Sonne hervor, was mich wieder optimistisch stimmt und die Fahrt genießen läßt.

Unten angekommen ist die Straßenführung erstmal etwas verwirrend. Offenbar gibt es mehrere Möglichkeiten, dieses sumpfige Tal zu durchqueren. Irgendwie schaffe ich es dennoch, mir keine Umwege aufzuhalsen, und gelange bald auf eine etwas breitere Straße, der ich ein Weilchen am Fluß entlang nach Süden folge. Hierbei erblicke ich kurz darauf den Lago d'Idro mitsamt einem idyllisch unter Palmen gelegenen Campingplatz. Bis hierhin hätte ich gestern mal fahren sollen. So kann ich die Landschaft nur von der Straße aus genießen, und nehme mir vor, allen, die jemals diese Gegend bereisen, den Lago d'Idro zu empfehlen.

Am Lago d'Idro
Nach der ersten Abfahrt des Tages erblicke ich den Lago d'Idro - und ärgere mich, nicht schon gestern hierher gefahrenzu sein.

Bei der Weiterfahrt schweift mein Blick hin und wieder schonmal über die Hügel zu meiner Rechten. Irgendwann muss schließlich eine Abzweigung kommen, die ich nehmen muss. Zwei Dörfer weiter ist es dann soweit: Eine kleine Abzweigung auf eine Nebenstraße, und schon bin ich wieder allein mit mir und der Landschaft. Vorbei geht es noch an einigen Häusern und diversen Holz verarbeitenden Betrieben, bevor nur noch Wiesen, Weiden und Wälder meinen Weg säumen. Mittlerweile ist es sehr warm geworden, und da es auch wieder bergauf geht, klemmt mein T-Shirt schon wieder am Gepäck. Vermutlich werde ich zuhause auch durch eine Art Radfahrerbräune auffallen: brauner Rücken, weißer Bauch. Aber egal: es ist einfach angenehmer bergauf zu fahren, wenn ein leichter Fahrtwind (sofern davon bei den typischen Geschwindigkeiten bergauf noch etwas vorhanden ist) den Oberkörper direkt kühlt.

Viel gibt es auch an dieser Straße nicht zu sehen. Die Landschaft ist nett, und es ist angenehm zu fahren. Irgendwann - ich bin mittlerweile wohl wieder auf 900 Höhenmeter oder so gekommen - erscheint vor mir ein Bergdorf, in dem ich mir meine Mittagspause genehmige. Man hat das Gefühl, hier im italienischen Hinterland läuft alles etwas ruhiger und gelassener ab - mal abgesehen von dem Bus, dessen Fahrer wohl auf den engen Straßen einen neuen Geschwindigkeitsrekord aufstellen will.

Bergdorf in Oberitalien
Blick auf ein malerisches Bergdorf, irgendwo in Norditalien.

Weiter geht die Fahrt, jetzt wieder bergab ins nächste Tal. Dort wieder ein bißchen im Tal entlang, bevor ich wieder irgendwo rechts abbiegen muß. Dann geht es nochmal über einen Bergrücken, bevor ich am Spätnachmittag vor mir den Lago d'Iseo erblicke, mein heutiges Tagesziel. Dort angekommen, statte ich erstmal dem Campingplatz, auf dem ich letztes Jahr mit meiner damaligen Freundin und Motorrad untergekommen war, einen Besuch ab. Leider gibt es hier keine freien Plätze mehr - alles ist mit Wohnwagen zugestellt, die zum großen Teil mit deutschen Kennzeichen verziert sind. Das Angebot, zum halben Preis mein Zelt in einer Nische zwischen zwei Wohnwagen aufzubauen, lehne ich dankend ab. Auf dem nächsten Platz, nur 100 Meter weiter, zahle ich zwar den normalen Preis von 20.000 Lire, fühle mich dafür aber auch wohl.

Allerdings nicht lange. Zwar kann ich noch das Schwimmen im See (wenn auch zwischen jeder Menge Grünzeug durch) sowie die anschließende Dusche in den recht sauberen sanitären Anlagen genießen, stelle aber dann fest, dass meine ec-Karte weg ist. Mit ihr ein kleines Täschchen zum um-die-Hüfte-schnallen, und einige Geldscheine. Auch die etwa zweistündige Suche in meinem Gepäck hilft nicht. Die in den nächsten Tagen gedanklich angestellte Rekonstruktion der Ereignisse macht es dann wahrscheinlich, dass dieses Täschchen mitsamt Geld und ec-Karte aus der Lenkertasche gefallen sein muss, als ich am Lago d'Idro für ein Foto anhielt und in eben jener Lenkertasche nach meiner Kamera kramte.

Wenn ich auch hier schonmal vorwegnehmen kann, dass die Karte verschollen blieb und niemand in den nächsten Tagen damit versucht hat, mich um mein Kontoguthaben zu erleichtern (es gibt ja auch unehrliche Finder), verdirbt mir dieser Verlust doch ein wenig den Abend. Ich verbringe einige Zeit damit, zu telefonieren, und beauftrage meine Mutter, mir telegrafisch Geld nach Locarno in der Schweiz zu überweisen. Das kostet, wie ich am nächsten Abend erfahre, beim Höchstbetrag von 300 DM immerhin 50 DM an Gebühren. Auch die Sperrung der Karte, die ich nach nochmaliger erfolgloser Suche am nächsten Tag veranlasse, ist natürlich nicht umsonst.