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11.Tag - Donnerstag, 31. August 1995

Am Campinplatzstrand am Lago Maggiore
Am Strand des Campingplatzes scheint die Morgensonne auf das ruhige, aber eiskalte Wasser des Lago Maggiore.

Ein weiterer sonniger Tag bricht an, den ich vor dem Zelt sitzend mit einem Frühstück und einem starken Kaffee beginne. Danach schaue ich mir diesen Zipfel des Lago Maggiore erstmal in der Morgensonne an. Ziemlich friedlich liegt der See vor mir - eine Anblick, den ich zur Hochsaison mit wärmerem Wasser sicher nicht gehabt hätte. Aber auch wenn das Wasser eiskalt ist: Die Luft ist angenehm warm, und während ich eine Weile am Strand entlangschlendere, genieße ich erneut das mediterrane Klima, von dem ich mich wohl bald verabschieden werde.

Nach dem obligatorischen Foto mache ich mich mit dem Rad auf dem Weg nach Locarno, wo in der Post das Geld auf mich wartet. Hierzu muss ich mich erstmal ein wenig vom See wegbewegen, da das Ufer fest in der Hand irgendwelcher Campingplätze ist. Dann gibt es aber einen Radweg Richtung Locarno, der am Wasser entlangführt und dementsprechend auch von vielen Einheimischen zum Spaziergang genutzt wird.

Blick über Locarno, mit dem Lago Maggiore im Hintergrund
Ein Blick über die Innenstadt von Locarno und die Nordostecke des Lago Maggiore.

Nachdem ich, mit Hilfe eines Stadtplans, zunächst zielstrebig die falsche Post in Solduno, einem der Stadtteile, aufsuche, schickt man mich wieder zurück in die Innenstadt, wo die Hauptpost gerade aufgrund irgendwelcher Bauarbeiten in einer Holzbaracke untergebracht ist. Ich bin froh, dass die Leute hier nicht nur Italienisch sprechen, so dass es mir relativ einfach möglich ist, der Frau am Schalter zu erklären, was ich will. Nach einer Unterschrift drückt sie mir das Telegramm (in dem allerdings nicht viel steht) und 240 Schweizer Franken in die Hand. Ist ja nicht viel für über eine Woche, denke ich, aber es wird wohl reichen müssen.

Zu neuem Reichtum gelangt, mache ich erstmal einen Bummel durch die Stadt. Durch ihr für Schweizer Verhältnisse mildes Klima gedeihen hier Kakteen und Palmen, die der Stadt ein recht mediterranes Flair verleihen. Dazu trägt auch die italienische Sprache bei, die hier gesprochen wird. Ich schaue mir die verschiedenen Grünanlagen an, die Innenstadt mit ihren Eiscafés, und die Strandpromenade, bevor ich ein paar Postkarten schreibe und mich am frühen Nachmittag wieder auf den Weg zum Campingplatz mache.

Kakteen in der Innenstadt von Locarno
Die Kakteen in Locarno gehören eigentlich in südlichere Gefilde, aber dank des milden Klimas fühlen sie sich auch in der Schweiz wohl.

Dort angekommen, beweise ich erstmal meinen Mut (oder Wahnsinn), indem ich nämlich doch mal kurz schwimmen gehe. Irgendwie kann ich es nicht fertig bringen, bei diesem schönen Strand nicht ins Wasser zu gehen. Danach lege ich mich ein wenig in die Sonne und lese in meinem Buch weiter. Laut dem Mann an der Rezeption ist der St. Gotthard-Paß wieder offen, nachdem er vor zwei Tagen wegen Schneefall gesperrt wurde. Das würde bedeuten, dass ich morgen wie geplant weiterfahren kann, und daher lege ich mich heute noch mal am Strand auf die faule Haut und genieße mein irdisches Dasein.

Aber auch dieser Nachmittag geht irgendwann zu Ende. Abends koche ich mir Nudeln auf meinem Kocher, und nach einem unbedingt nötigen Waschprogramm für meine T-Shirts setze ich mich nach Sonnenuntergang noch mit einer Flasche Rotwein an den Strand. Das ist dann mal wieder so eine prima Gelegenheit, meinen Gedanken freien Lauf zu lassen. Ich betrachte die Lichter jenseits der Wasserfläche, denke über die Alpen nach und darüber, was für ein Verkehrshindernis sie speziell für Radfahrer darstellen können, wenn die geplante Route nicht passierbar ist. So viele Pässe gibt es nicht vom Lago Maggiore nach Norden: Da ist der St. Gotthard, den ich morgen nehmen will. Weiter westlich kommt noch der Simplonpaß, der durch Domodossola und die Gondoschlucht nach Brig in der Schweiz führt, aber schon einen beträchtlichen Umweg darstellt. Man muss sich nur mal überlegen, dass man dann schon wieder den halben Lago Maggiore umrunden müsste, um nach Westen weiterfahren zu können. Noch weiter westlich gibt es dann noch das Aosta-Tal mit seinen am Montblanc vorbei führenden Pässen (Großer und Kleiner St. Bernhard). Nach Osten wären der Lukmanierpaß und der San Bernardino die nächsten Pässe, und wenn ich noch weiter nach Osten ausweichen müsste, könnte ich auch bald schon wieder über den Brenner zurückfahren. Die direkt von Locarno aus nach Norden in die Berge führenden Täler, das Valle Verzasca und das Valle Maggia, sollen zwar sehr schön sein, bilden aber für mich keine Option, da sie, wie das Stubaital, Sackgassen darstellen.

Im späteren Verlauf des Abends muss ich auch noch meine Jacke anziehen, wobei mir klar wird, dass heute der August zu Ende geht - und damit der Sommer, wenn's auch im Kalender anders steht. Nachdem die Flasche Wein leer ist, bin ich jedoch ganz gut von innen gewärmt, und verziehe mich in mein Zelt.