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17.Tag - Mittwoch, 6. September 1995

Blick vom Schweizer Parlamentsgebäude über Bern
Der Vorhof des Parlamentsgebäudes von Bern.

Da ich von Bern aus innerhalb eines Tages in Basel sein kann, beschließe ich, heute einfach nochmal einen Ruhetag einzulegen und mir ein wenig die Stadt anzuschauen. Diese Entscheidung wird von dem Umstand begünstigt, dass der Campingplatz sehr schön ist, aber auch von dem guten Wetter. Zwar ist gutes Wetter und Sonnenschein auch zum Radfahren nicht verkehrt, aber wenn es regnet, kann man - sofern man unterwegs ist - immer noch weiterfahren, während ein Ruhetag mit Regen einem nur die Möglichkeit bietet, den ganzen Tag im Zelt zu liegen.

Bern, die Hauptstadt der Schweiz, wurde bereits 1191 gegründet, das mittelalterliche Stadtbild stammt jedoch vom Anfang des 15. Jahrhunderts, als ein Großteil der Stadt nach einem Brand aus Sandstein neu aufgebaut wurde. Mit gerade mal 130.000 Einwohnern ist Bern noch eine kleinere Hauptstadt als es Bonn für Deutschland war - ich meine, das muss man mal mit anderen Hauptstädten wie Mexico City, Moskau oder Tokio vergleichen. Dennoch besitzt Bern eine recht ansehnliche Sammlung von Sehenswürdigkeiten. Nachdem ich mich nach meinem Frühstück aufs Fahrrad geschwungen habe und die zwei Kilometer zum Stadtzentrum geradelt bin, schaue ich mir zunächst mal das Bundeshaus an, das mit den ganzen aufgereihten Flaggen wirklich international aussieht. Von seinem "Hinterhof", der Bundesterrasse, hat man einen herrlichen Blick auf die Aare, der eigentlich nur von den vielen Wespen etwas getrübt wird.

Die Berner Innenstadt
Die Innenstadt von Bern mit ihren verwinkelten Häusern.

Nun beschließe ich, heute tatsächlich einen auf Tourist zu machen. Auf einem Stadtplan informiere ich mich ein wenig über sehenswerte Dinge und schlage vom Bundeshaus aus erstmal den Weg zum Bärengraben ein. Zwar ist das Berner Wappentier ein Bär, aber was ich davon halten soll, zwei Exemplare der Tiere in einem Graben am Rand der Innenstadt zu halten, weiß ich noch nicht so recht. Klar, sie sind eine Touristenattraktion, aber einen Tierschutzpreis bekommen die Stadtväter für den Bärengraben bestimmt nicht.

Ich gehe weiter, überquere die Nydeggbrücke über die Aare und steige zum Rosengarten hinauf. Dieser Platz ist aus zweierlei Hinsicht touristisch interessant. Zum einen bietet er einen schönen Ausblick auf die Innenstadt von Bern, und zum anderen sind die in ihm wachsenden Rosen natürlich auch selbst eine Attraktion. 200 Rosensorten soll es hier geben, aber da ich mich damit eh nicht auskenne, genieße ich einfach den Anblick. Die Beete mit Rosen und Rhododendren sind auch noch von einem weitläufigen Park umgeben, so dass ich mich eine Zeit lang auf einer Bank niederlasse. Hm, ein bißchen komme ich mir jetzt langsam wirklich wie ein richtiger Tourist vor - nur mit dem Unterschied, dass ich mit dem Fahrrad vom Campingplatz in die Altstadt gefahren bin, während andere das wohl mit dem Auto machen würden.

Der Rosengarten in Bern
Der Rosengarten in Bern.

Vom Rosengarten aus gehe ich wieder hinunter in die Innenstadt. Warum die Hauptstraße in Bern Gerechtigkeitsgasse heißt, werden wohl nur die Berner selbst wissen. Diese ist aber recht nett anzusehen, mit einigen Brunnen, Arkadengängen und etlichen mittelalterlichen Gebäuden. Eines davon ist das von 1406 bis 1416 erbaute Rathaus, in dem die Kantonsregierung zu ihren Sitzungen zusammentritt. Während ich hier entlanglaufe, fällt mir so ein recht kräftiger, bärtiger Geselle auf, den ich schon heute morgen auf dem Campingplatz gesehen hatte und der sich wohl auch gerade mit seiner Freundin zusammen die Innenstadt anschaut. Weiter westlich findet man den sogenannten Zweiglockenturm, der zu den wichtigsten Sehenswürdigkeiten der Stadt zählt. Am Ufer der Aare - eigentlich hoch darüber - steht ein weiteres wichtiges Bauwerk, nämlich das Berner Münster, dessen Bau bereits 1421 begonnen wurde, aber dessen hundert Meter hoher Turm erst 1891 vollendet wurde. Da scheint ja sogar der Umzug der deutschen Bundesregierung nach Berlin schneller vonstatten zu gehen.

Das Berner Rathaus
Das Rathaus in der Berner Fußgängerzone.

Nach diesen touristischen Impressionen begebe ich mich wieder zu meinem für Ruhetage typischen Tagewerk. Neben einem Supermarkt muss heute auch der Markt auf dem Marktplatz dran glauben, bei dem ich mich mit frischem Obst eindecke. Mit am Lenker hängenden Tüten fahre ich dann an der Aare zurück zum Campingplatz. Bei meiner Ankunft fällt mir ein Hund auf, der offensichtlich die im Eingangsbereich eines anderen Zeltes liegenden Tüten und Taschen nach etwas Essbarem dursucht. Während ich ihn wegjage, frage ich mich allerdings schon, wie man denn sein Zelt so offen stehen lassen kann.

Am Spätnachmittag beginne ich mit der Zubereitung des Abendessens, und hierbei offenbart sich einer der großen Pluspunkte dieses Campingplatzes: Eine mit Tischen und Bänken ausgestattete Küchenecke, in der man neben Spülbecken auch fest installierte Gaskocher vorfindet. Dies erinnert mich irgendwie mehr an ein Pfadfinderlager denn an einen Campingplatz, aber wenn diese Ausstattung vorhanden ist, sollte man sie auch nutzen, Ich trage also meine gesamte Küchentüte rüber in diese Ecke und genieße einen Luxus, den ich in meiner Regennacht in Sarnen gerne gehabt hätte. Und hierbei kapiere ich endlich, wie man auf die zu Hunderten hier rumfliegenden Wespen reagieren muss: Einfach cool bleiben. Schön, sie sind schon ein Ärgernis, aber nach dem Abendessen habe ich wahrscheinlich jegliche irrationale Angst vor Wespen verloren.

Mein Campingplatz am Ufer der Aare
Der Campingplatz. Eine große Wiese garantiert ohne Wohnmobile.

Wieder am Zelt, erzähle ich der Frau, der das von dem Hund heimgesuchte Zelt gehört, was passiert ist, aber es scheint sie nicht großartig zu kümmern. Ihren Freund, einen Schwarzafrikaner, auch nicht. Sind eigentlich alle Paare, die aus einer deutschen Frau und einem schwarzen Mann bestehen, so bizarr? Scheinbar ja. Der bärtige Tourist, den ich in der Berner Innenstadt gesehen habe und den ich mir sehr gut auf einer Harley sitzend vorstellen könnte, entpuppt sich dagegen als recht umgänglicher Australier. Einen weiteren Touristen from down under lerne ich noch am nächsten Morgen vor meiner Abreise kennen. Jener fährt fünf Monate mit dem Fahrrad durch Europa und ist so lange von seiner Firma freigestellt. Er erzählt mir, welche Länder er schon alle gesehen hat und dass seine Reise jetzt langsam dem Ende zugeht, und ich komme mir trotz meiner auch recht beachtlichen Leistung wieder vor wie ein Fahrrad-Tagesausflügler. Was Leute von anderen Kontinenten an Europa immer wieder sehr interessant finden, ist, dass man hier viele verschiedene Landschaften und auch viele verschiedene Kulturen so eng beisammen hat. Das erklärt vielleicht auch die Weltoffentheit der Europäer, im Gegensatz etwa zu typischen Amerikanern, die von der Geographie des Planeten Erde gerade genug Ahnung haben, um den Weg zum nächsten McDonald's oder zum Footballstadion zu finden.