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18.Tag - Donnerstag, 7. September 1995

Nach dem Frühstück packe ich mein Sachen. Ich unterhalte mich noch mit einem Australier (der bereits auf der vorigen Seite Erwähnung fand), dann fahre ich erstmal wieder nach Bern rein, da es nach meiner Karte durch Bern Richtung Norden geht. Noch scheint die Sonne, und ich genieße ein letztes Mal den Aufenthalt in dieser schönen Stadt, bevor mich eine Steigung aus dem Stadtzentrum bringt. Schnell bin ich wieder in ländlicher Umgebung. Trotz der Ruhetage in Sarnen und Bern scheint sich mein "Sitzfleisch" an einigen Stellen leicht entzündet zu haben, und natürlich sitzen die Nähte meiner Hose genau auf diesen Stellen, so dass ich die ersten paar Kilometer ständig auf dem Sattel hin und her rutsche, bis ich eine einigermaßen angenehme Sitzposition gefunden habe.

Solothurn, die erste größere Stadt auf der heutigen Etappe, soll auch einen sehr schönen Stadtkern haben, aber rechtzeitig zu meiner Ankunft dort hat sich der Himmel verfinstert und es fängt an zu regnen. Zwar stelle ich mich noch eine halbe Stunde in einem kleinen Wartehäuschen unter, wo ich die Zeit für mein Mittagessen nutze, aber da ich nicht ewig warten kann, fahre ich weiter. Und die darauf folgenden 60 Kilometer werden die nassesten und ungemütlichsten der ganzen Tour.

Zunächst treibt mich der Rückenwind durch eine ländlich geprägte Landschaft, auf einem Radweg entlang einer gut ausgebauten Schnellstraße. Dumm ist nur, das der Radweg stellenweise die Schnellstraße verläßt und durch kleine Ortschaften führt, in denen man sich natürlich nicht die Mühe macht, diesen Radweg ausreichend zu beschildern. Mehr als einmal fahre ich falsch und muss umkehren. Meine Stimmung wird allmählich schlechter. Zum Glück ist mein Regenponcho einigermaßen dicht, dennoch ist das Fahren kein Vergnügen. In einer dieser Ortschaften will ich kurz anhalten und eine Pause machen, falle aber an einer Bordsteinkante beinahe auf die Nase. Damit nicht genug: Prompt kommen hinter der nächsten Hausecke ein paar Kinder hervor, sehen meinen gerade noch verhinderten Sturz und lachen mich aus. Damit ist meine Stimmung auf dem Tiefpunkt: Fahre ich etwa über tausend Kilometer durch Europa, um mich hier von ein paar Schweizer Bengeln auslachen zu lassen? Einen Sekundenbruchteil überlege ich, dem ersten von ihnen eine zu scheuern. Wäre das nicht eine geeignete Erziehungsmaßnahme? Dann lernten die Kinder wenigstens, dass sie Radfahrer, denen das Wetter schon genug zu schaffen macht, nicht auslachen dürfen. Ich entscheide mich anders, verschiebe die Pause auf einen späteren Zeitpunkt und fahre weiter.

Es gilt noch das Jura zu überqueren. Durch das schlechte Wetter ist es recht duster, mein dunkelgrüner Regenponcho ist nun auch nicht die optimale Radfahrkleidung mit Signalwirkung, und als ich mich nach der Durchquerung von Olten an den Anstieg zum letzten, 690 Meter hohen Paß mache, mischt sich unter das wetterbedingte Unbehagen noch eine gewisse Angst vor dem Autoverkehr. Die Autos haben Licht an, so dunkel ist es hier, aber glücklicherweise schaffe ich den Paß ohne Zwischenfälle. Kurz darauf sehe ich einen Campingplatz, fahre hinauf und suche nach einem Büro oder Angestellten. Zwar bin ich schon ziemlich durchnässt und auch nicht mehr übermäßig motiviert, aber trotzdem froh, dass diese Suche erfolglos bleibt. Ich stelle mir vor, wie das wäre, wenn ich morgen im Regen nach Basel weiterführe und dann - naß, dreckig und stinkend - in den Zug einstiege. Nee, da fahre ich heute lieber bis ans Ziel und gönne mir nochmal eine Dusche.

Vor das Ziel haben die Verkehrsplaner aber ein ziemliches Schnellstraßengewirr südöstlich von Basel gestellt. Ständig wechsele ich von Radwegen über kleine Sträßchen bis auf vierspurige Schnellstraßen, fahre an Staus vorbei und nähere mich so meinem Ziel. Der auf meiner Karte eingezeichnete Campingplatz ist nicht in Basel selbst, sondern in Reinach, was etwa acht Kilometer südlich liegt. Auf dem Weg dahin steuere ich nochmal einen Supermarkt an und kaufe mir mal wieder eine Tafel Schokolade, diesmal sogar mit 400 Gramm. Unnötig zu erwähnen, dass diese keine 24 Stunden halten wird.

Auf dem Campingplatz "Waldhort" angekommen, stürze ich direkt in das beheizte Büro, denn mit den nassen Klamotten wird es jetzt draußen doch langsam unangenehm. Mein Zelt baue ich in einer Ecke des Platzes auf, die für Zelte vorgesehen ist. Es ist dort zwar ein klein wenig matschig, aber daraus kann man den Verantwortlichen jetzt keinen Vorwurf machen, denn der Rest des Platzes sieht noch schlimmer aus. Ich scheine der einzige Zelt-Camper hier zu sein; so ist es auch nicht verwunderlich, dass der Platzwart ohne Zögern damit einverstanden ist, dass ich mein Zelt am nächsten Tag bis zum Nachmittag stehen lassen will. Danach gibt es für mich nur noch eine warme Dusche (wobei ich mit meinen nassen, schlammigen Schuhen eine ziemliche Sauerei in dem Gebäude hinterlasse), ein warmes Abendessen und zuguterletzt einen warmen Schlafsack.

Die letzte "richtige" Etappe der Tour liegt hinter mir, und sie hat mir sowohl physisch als auch psychisch nochmal alles abverlangt.